Kintsugi ist eine traditionelle japanische Reperaturmethode für Keramik.
Zerbrochene Teller oder Tassen werden nicht entsorgt, sondern vielmehr filigran wieder miteinander verklebt- und mehr noch- die Bruchkanten werden veredelt, mit Gold oder Silber.
Seinen Ursprung hat Kintsugi im 16. Jahrhundert in Japan, mit dem sich ausbreitendem Zen- Buddhismus.
Es ist tief verwurzelt mit dem ästhetischen Konzept WABI-SABI.
Wabi Sabi beschreibt im japanischen die Wahrnehmung von Schönheit und ist tief verbunden mit den "4 edlen Wahrheiten" im Buddhismus. Diese bilden die Grundlage der buddhistischen Lehre. Sie beschreiben den Weg des menschlichen Leidens: die Wahrheit des Leides, die Ursache, die Beendigung und den zu beschreitenden Pfad zur Beendigung des Leidens.
Wabi für sich allein stehend, bedeutete ursprünglich, "die Schönheit des Einfachen". Erst in der Verbindung mit Sabi ( alt sein, Reife zeigen) entstand die Begriffseinheit "Wabi- Sabi" und betont somit den Aspekt "mit Alter oder Erfahrung gewachsener Schönheit".
Diese Einheit bildet bis heute die Grundlage in der japanischen Kunstbewertung. Nicht die Schönheit allein bildet das Ästhetische ab, sondern vielmehr die Verbindung von Schönheit und Gebrochenem.
Es geht um die Akzeptanz der Unvollkommenheit. Alles ist im Fluss, alles ist vergänglich. Dieses Verständnis findet sich in nahezu allen Bereichen der japanischen Kunst wider: japanische Gärten, Bonsai, Ikebana und eben auch im Kintsugi.
Diese kreative Technik, die zunehmend auch bei uns an Bekanntheit gewinnt, entspringt also einer tausend Jahre alten Philosophie und ist kunsthistorisch in Japan sehr bedeutsam.
Was hat das nun mit psychologischer Beratung und Coaching zu tun?
In meinem psychologischen Denken und Handeln geht es immer wieder um die Themen Übergang und Verbindung.
Wie bewältigen wir Krisen, also Übergänge von einer gewohnten Lebenssituation hin zu etwas Neuem, Aufwühlendem und zutiefst Verunsicherndem?
Wie gestalten wir Verbindungen, zu uns selbst und zu anderen Menschen?
Was hilft uns, Verbindungen zu gestalten?
Wie verbinden wir das Alte mit dem Neuen, das Gute mit dem Schlechten?
Was macht die neu entstandene Bruchstelle mit uns?
Können wir Zerbrochenes wieder miteinander in Verbindung bringen?
Wie leben wir mit der Bruchstelle?
Können wir sie vielleicht sogar veredeln, wie beim Kintsugi?
Kintsugi und die Psychologie der Verbindung bilden für mich eine natürliche, logische und ästhetische Einheit.
Etwas zerbricht, wie auch in unserem Leben etwas zerbrechen kann.
Eine Beziehung, ein Glaubenssatz, die Gesundheit oder gar eine Illusion.
Die zerbrochenen Teile liegen zunächst frei, ungeschützt, für sich allein. Hilflos, verloren.
So wie auch wir "zerbrechen können", an einem stressigen Job, an einer Niederlage, an Trauer.
Im Kintsugi werden die zerbrochenen Teile jedoch nicht "entsorgt" und bleiben somit nicht hilflos und isoliert zurück. Sie werden vielmehr wieder zusammen geführt, verklebt. -Sie werden in Verbindung miteinander gebracht. So fest, dass das neue Gebilde nicht mehr zerbrechen kann. Krisen und Brüche können also eine neue komplexe Einheit eingehen, die in sich adäquat gefestigt ist. Krisen können unser Lebensgeflecht festigen.
Die Bruchstelle wird sogar mit Metall veredelt, dh. sie bekommt eine neue Ästhetik, einen höheren Stellenwert als die zerbrochenen Teile an sich!
Ist das nicht wunderbar?
Durch das Gold oder Silber wird die Bruchstelle sogar hervorgehoben, in Helligkeit und Präsenz manifestiert.
Die veredelten Bruchlinien bilden das neue Gesicht des Gegenstandes und werden dann als "keshiki" bezeichnet. Das bedeutet Landschaft.
Es entsteht etwas ganz Neues, wunderbares, eine komplexe, wunderschöne Landschaft! Die Landschaft unseres Lebens, metaphorisch gesprochen.
Der goldene Schimmer der Bruchlinien wertet das gesamte Gebilde auf. Der Bruch und die neu entstandene Verbindung werden vom Makel zum ganz individuellen Merkmal!
Sollten wir unsere biografischen Brüche, unsere Krisen, unsere verlorenen Illusionen nicht auch vielmehr in einen glänzenden Schimmer tauchen?
Alles wieder zu einem Ganzen zusammenfügen dürfen? Die Einschnitte annehmen, wie einen goldenen Schatz?
Und die einzelnen Bruchstücke sehen, wie sie wieder in Verbindung kommen, sogar edler und wertvoller als vorher!?
Und sollten wir nicht vielmehr wertschätzen, dass die neu zusammengesetzten Teile im Ganzen eine wunderschöne Landschaft bilden, ein Ebenbild unseres neuen Daseins nach einer Krise?
Im Kintsugi ist das neu zusammengefügte Gebilde bedeutend wertvoller als der intakte Gegenstand zuvor.
Wäre es nicht genial, wir könnten so auf unser Leben blicken? Ein Leben mit seinen Brüchen, Wunden und Narben- die zerbrochenen Teile in uns, wieder miteinander verbunden und sogar veredelt, durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben.
Das neue Bild von uns, im Ganzen, eine neue Landschaft unserer selbst- mit veredelten Bruchlinien, wertvoller denn je.
Ich werde Kintsugi als metaphorisches Bild versuchen, in mein Leben zu integrieren und es auch meinen KlientInnen in der psychologischen Beratung ans Herz legen und sie motivieren, es als Metapher in ihr eigene Leben zu integrieren.
Für ein Leben InVerbindung und ein Leben in Versöhnung mit unseren Krisen, Brüchen und Makeln.
Wer Kintsugi einmal selbst ausprobieren möchte, im Internet sind mittlerweile viele Sets erhältlich.
Für den Anfang reicht aber auch eine alte Tasse oder ein Teller. Diese in eine Tüte legen, ein altes Handtuch drum herum wickeln und mit einem Hammer leicht darauf schlagen. Am besten Handschuhe tragen.
Achtung: je härter der Schlag, desto mehr Scherben!
UHU extra o.ä. dann mit goldener oder silberner Farbe vermischen und die Scherben mit einem dünnen Pinsel kitten. Trocknen lassen.
Das alles hält nicht so gut, wie bei einem professionellen Set, reicht aber zum Ausprobieren völlig aus. Viel Spaß! Kinder bitte nur gemeinsam mit einem Erwachsenen!
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